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Der Fall Raitbach - alle Daten & Fakten (2) |
Das Raitbacher Manifest*) |
In memoriam… |
*) Ein Manifest (lateinisch
manifestus ‚handgreiflich gemacht‘) ist eine öffentliche Erklärung
von
Zielen und Absichten, oftmals politischer Natur. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Manifest) |
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In memoriam… in Erinnerung an… |
... wider dem Vergessen und dem |
Sich-nicht-mehr-daran-erinnern! |
Copyright Werner Störk 2013 |
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Ich erinnere an die, welche
vor fast vierhundert Jahren, unter größten Entbehrungen, mit
schwielig-blutenden
Händen, mit einem einfachen Holzspaten und einer kleinen Schubkarre diesen Graben mühsam dem steilen Hang abrangen, um dann den mächtigen Wall aufzuwerfen. Einfache Bauern aus den umliegenden Höfen und Ortschaften. Schanzbauern eben. Auch daran erinnerte der Wall. |
Ich erinnere an die, welche
bei dem oft wochenlangen extrem harten körperlichen Einsatz zusätzlich
unter
alltäglicher Erniedrigung, massiver Unterdrückung und erbarm-ungsloser Willkür leise vor sich hin litten - denn jedes Aufbegehren, gar Widerstand war zwecklos, sinnlos - tödlich. Einer aus einem anderen Dorf hatte es dennoch versucht: Aus den noch schwelenden Hausruinen ragten weithin sichtbar die Reste der Kaminmauer - nicht nur die seines Hauses - der Wind hatte die Funken auf die Strohdächer der Nachbarn getragen und drei weitere angezündet. Ihn selbst hatte man auf dem Dorfplatz unter der Gerichtslinde gerädert. Alle im Dorf mussten zuschauen. Stundenlang. Auch die Jüngsten. Auch daran erinnerte der Wall. |
Ich erinnere an die, welche
hier zwangsrekrutiert, in gnadenloser Hand- und Fuhrfron und in ständiger
Angst
und Sorge um ihre - durch ihr Wegsein oft schutzlos ausgelieferten - Familie lebten, nie wissend, ob sie überhaupt und in welchem Zustand sie ihre Angehörigen, Hof und Stall bei der Rückkehr antreffen. Drei Höfe hatten sie schon abgefackelt, alles Vieh und das letzte Saatgut mitgenommen, die Frauen verschleppt, das männliche Gesinde einfach mit Knüppeln erschlagen. Zuvor gefoltert, Schwedentrunk. Solche abscheulichen Folter-Methoden besitzen eben auch Tradition, wurzeln tief und wachsen weiter - bis heute. Und heute: Die weiße Folter (waterboarding), simuliertes Ertrinken. Auch daran erinnerte der Wall. |
Ich erinnere an die, für
welche die Pest und der Tod, die Teuerung, der allgegenwärtige Hunger
und der Krieg
fast 100 Jahre lang - damals also über drei Generationen hinweg - scheinbar gottgewollter grausamer Alltag war. Auch daran erinnerte der Wall. |
Ich erinnere an die, welche
als Mütter, Schwestern und Frauen ständig um das Leben ihrer
vom Hof zum Schan-
zen weggeführten Söhne, Brüder und Ehemänner bangten. Wie viele kamen schon nicht mehr heim - die Kir- chenbücher zeugen davon. Auch daran erinnerte der Wall. |
Ich erinnere an die kleinen
Kinder, jungen Mädchen und selbst alte Frauen, die damals ständig
um ihr eigenes
Leben, ihre eigene körperliche wie auch seelische Unversehrtheit, fürchten mussten. Umherziehende Marodeu- re und eine brutal-verrohte, in langen Kriegsjahren unmenschlich gewordene Soldateska kannten kein Erbar- men- die wirkliche Zahl ihrer Opfer ist unbekannt. Systematische Vergewaltigungen. Mit Absicht. Mit Vorliebe für die andere Konfession. Bis heute. Auch daran erinnerte der Wall. |
Ich erinnere an die, welche
an Himmel und Fegefeuer, Teufel und Hexen glaubten, und so für viele
ihrer Zeitge-
nossen - vor allem Frauen - schon zu Lebzeiten die Erde zum Vorzimmer der Hölle machten. Auch daran er- innerte der Wall. |
Ich erinnere an die, welche
sich damals weder Frieden oder auch nur ahnungsweise Demokratie vorstellen
konnten, geschweige denn gar verfassungsrechtlich verbriefte Menschen- und Bürgerrechte. Auch daran eri- nnerte der Wall. |
Ich erinnere an die, für
die damals die Vision eines Rechtsstaates mit zuverlässigen Sozial-
und Bildungs-
leistungen sowie einer funktionierenden medizinischen Infrastruktur - je nach gesellschaftlichem Stand - entweder die satanisch-teuflische Ausgeburt der Hölle oder die göttliche Verheißung als der Traum vom Paradies auf Erden gewesen wäre. Auch daran erinnerte der Wall. |
Ich erinnere uns alle daran,
welches einzigartige Glück, welche unglaubliche Kette von unendlichen
Zufällen
das Schicksal zusammengefügt hat, dass unsere Vorfahren all jene schrecklichen Ereignisse und erschüt- ternden Erlebnisse überlebt haben - während Millionen an genau diesen, sehr oft schon sehr jung starben, und so ihre Gene nicht mehr weitergeben konnten. Unsere dagegen haben es geschafft Wir leben. Auch daran erinnerte der Wall. |
Und ich erinnere gerade
jetzt deshalb an alle diese Dinge, weil hier ein Einziger, durch sein „Vergessen“
uns die Chance für das symbolische Erinnern an jene Menschen, an jene Epoche, unwiderruflich genom- men hat. Ein Kulturdenkmal, ein Denkmal fordert eben Nachdenken, Denken - denk´ mal!. |
Der vergessen hat, dass
in einem Haufen aufgeworfener Erde eben mehr steckt, als wertloser
Dreck - mit
dessen Einebnung man - einfach mal so - wieder einmal ein Stück der regionalen, unserer, eurer Raitbacher Geschichte für immer begräbt und wenn man jetzt über die neue Forststraße läuft, sie im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen tritt. Bedauernswerter Kollateralschaden eben. Für immer. |
Es schmerzt um so mehr -
wenn dem so wirklich war - wenn ein Einziger, mit seinem individuellen
Ver-
gessen, dem punktuellen Versagen seiner Erinnerung, seinem Sich-nicht-mehr-daran-erinnern, in der Lage ist, diesen bedeutsamen, archäologisch einzigartigen Bestand, quasi einfach mal 400 Jahre Geschichte mit der Schaufel einer Planierraupe zu vernichten. Kaum zu glauben, aber wahr. Ein bestehendes histo- risches wertvolles Ensemble einfach mal so ausgebeint, zerschnitten, zerstört und begraben hat. Klaglos, fraglos, gedankenlos, gedenkenlos. Bedauernswerter Kollateralschaden eben. Für immer. |
Mit seinem Sich-nicht-mehr-daran-erinnern
hat damit er nicht nur uns, sondern allen nachfolgenden Genera-
tionen, endgültig diese einzigartige Möglichkeit genommen, dass sich jene, die diesen Wall formten, ein- fache Bauern, möglicherweise sogar unsere eigenen Vorfahren, sich über genau diese noch existierenden Spuren uns immer wieder in unser Gedächtnis rufen, um uns wieder an ihr Leben, ihr Schicksal zu erinnern. Aus Fehlern der Geschichte lernen, Ursachen für Konflikte aufdecken, Begreifen, begreifbar machen. Schnee vo geschtern. Isch doch nicht schlimm! Bedauernswerter Kollateralschaden eben. Für immer. |
Jene von damals in unser
Gedächtnis rufen als bedeutsame Zeugen jener extrem unfriedlichen
Zeit und da-
durch gleichzeitig aber auch als stille, ernstzunehmende Mahner. Sie schweigen nun für immer - unwider- ruflich, unwiederbringlich. Unglaubliches Vergessen. Für immer. Sich-nicht-mehr-daran-erinnern. Bedauerns werter Kollateralschaden eben. Für immer. |
Der bislang sichtbare Impuls,
sich Ihrer zu erinnern, ist nun nicht mehr da, unsichtbar, unauffindbar,
nicht
mehr greifbar, unbegreifbar, unbegreiflich. Für immer. Sich-nicht-mehr-daran-erinnern. Bedauernswerter Kollateralschaden eben. Für immer. |
Als uns im Jahre 2004 die
höchste bundesdeutsche Auszeichnung, der Deutschen Preis für
Denkmalschutz,
durch die Deutsche Denkmalstiftung verliehen wurde, fiel jener Satz, den ich nicht vergessen habe: Ein Ort, an dem Kulturdenkmale vernichtet werden, ist wie ein Mensch, der sein Gedächtnis verliert. Deshalb m e i n Erinnern genau hier und heute und genau an diesem Wall. Öffentlich und trotz Androhung juristischer Schritte. |
Vorgetragen im Rahmen der
900-Jahre-Raitbach-Exkursion
direkt am zerstörten Wallgraben zwischen Sand-
würfen und Schanzbühl |
Raitbach, am 26. Oktober 2013 |
Werner Störk |
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Foto © Werner Störk 2013 |